Eröffnungskonzert

Interview mit Thomaskantor Andreas Reize

 

Foto: Gert Mothes

 

Das Motto des diesjährigen Bachfestes »Im Dialog« findet sich bereits im Programm des Eröffnungskonzerts, das traditionell vom Thomanerchor und dem Gewandhausorchester gestaltet wird. Nach welchen Prinzipien haben Sie die Stückauswahl getroffen?

Die Reihenfolge der Kompositionen im Eröffnungskonzert entspricht der liturgischen Ordnung einer Marienvesper, allerdings stammen die Werke nicht von einem Komponisten, sondern es dialogisieren dabei musikalische Stile aus vier Jahrhunderten miteinander. Einen Schwerpunkt bildet Claudio Monteverdi mit Auszügen aus seiner »Vespro della Beata Vergine«, hinzu kommen Motetten über Verse aus dem Hohenlied von Johann Hermann Schein und Sven-David Sandström. Unser Thomasorganist Johannes Lang wird unter anderem eine Bearbeitung des Marienhymnus »Ave Maris Stella« von Franz Liszt spielen, und dann wird Bachs »Magnificat« das Konzert feierlich beschließen.

... ein kontrastreiches Programm also. Ist Bach mit seinem Magnificat ein idealer Dialogpartner zur Musik vor und nach ihm?

Einen besseren Dialogpartner als Bach kann es gar nicht geben. Einerseits hat er viele Prinzipien des 17. Jahrhunderts übernommen und weiterentwickelt, andererseits haben sich unzählige Komponisten späterer Generationen an ihm orientiert. Unser Programm wird aber auch noch andere Bezüge aufzeigen. So kann man im direkten Kontrast hören, wie gut Alte Musik mit zeitgenössischer Musik korrespondiert, wie »italienisch« Thomaskantor Schein komponiert hat, oder wie zärtlich Liszt einen mittelalterlichen Hymnus bearbeitet.

Diesmal singt der Thomanerchor auch die h-Moll-Messe zum Abschluss des Bachfestes. Wie gehen Sie an die Interpretation dieses gewaltigen Stückes heran?

Für einen Knabenchor ist die h-Moll-Messe immer eine große Herausforderung. Es handelt sich ja um das einzige größere kirchenmusikalische Werk, das Bach in seiner Leipziger Zeit gerade nicht für die Thomaner geschrieben hat. Wir haben das Stück bereits mehrfach aufgeführt, allerdings wechselt die Besetzung der Knabenstimmen in jedem Jahr, so dass es praktisch immer eine Neueinstudierung ist. Mir ist wichtig, dass wir für Kyrie und Gloria die »Dresdner Stimmen« als Grundlage nutzen, also einen Stimmsatz, den Bach 1733 dem Dresdner Hof zugeeignet hatte. Hier sind wesentlich mehr Artikulationszeichen als in der späteren Gesamtpartitur enthalten.

Haben Sie ein Lieblingssatz in der h-Moll-Messe?

Ganz klar: das »Et incarnatus est« im Credo, also die Darstellung der Menschwerdung Christi. Bach hat diesen Satz – als vermutlich letzte vollendete Komposition – neu hinzugeschrieben und dabei ein so intimes, zerbrechliches Stück geschaffen, dass ich davon immer wieder tief beeindruckt bin. Er zeigt mir musikalisch, dass neben der Krippe direkt das Kreuz hängt, also der neugeborene Christus für den Kreuzestod vorgesehen ist. Aufgrund dieser besonderen musikalischen Gestalt singen wir diesen Satz auch nur in einer kleinen Chorbesetzung.

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